Es muss so um 1980 herum gewesen sein. Meine Eltern hatten mich mitgenommen auf einen Kurzurlaub in die wunderschöne Stadt München. Doch die vielen traditionellen Sehenswürdigkeiten waren mir weitgehend egal. Ich war als kleiner Junge ein leidenschaftlicher Bücherwurm und hatte kurz zuvor in einem Guinness Buch der Rekorde gelesen, wo sich das damals größte Buchgeschäft Europas befand. Es war der Hugendubel in München; und deshalb interessierte mich nichts so sehr wie eine Exkursion in den Buchhandel. Meinen Eltern lag ich so lange in den Ohren, bis sie mich für einen halben Tag dort absetzten. Ich fühlte mich sofort wie im Paradies!
So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Es war ein riesiges Bücherkaufhaus mit viel Licht und viel Platz, mit mehreren Stockwerken, die durch Rolltreppen miteinander verbunden waren. Es gab rote Sofas, die dazu einluden, vor dem Kauf in den Büchern herumzustöbern. Und diese riesige Auswahl an Büchern aller Art! Ich war hin und weg. Jungen Menschen von heute ist kaum zu vermitteln, wie revolutionär dieser Buchladen damals war. Die Läden, die ich bis dahin kannte, sahen deutlich anders aus. Sie waren klein und verwinkelt. Wenn man aus einem Regal eines der Bücher hervorzog, um einen Blick hineinzuwerfen, näherte sich von hinten sofort eine knochige Gestalt, die einem mit hexenhafter Stimme ins Ohr knarzte: „Erst kaufen, dann lesen!“
Hugendubel war damals ein Vorreiter für eine neue Art Buchgeschäft. Seitdem hat sich viel getan. Andere Anbieter haben vergleichbare Konzepte eingeführt, während Hugendubel sich bundesweit ausgebreitet hat, erst in den Großstädten, später auch in den Städten mittlerer Größe. Vor etwa zehn Jahren hat Hugendubel eine Niederlassung in einer nahegelegenen Kreisstadt eröffnet. Es war ein Bücherkaufhaus, ähnlich wie ich es als Kind in München erlebt hatte; etwas kleiner zwar, aber doch mit immerhin drei Stockwerken und den obligatorischen Rolltreppen. Die Botschaft war klar: Hugendubel markierte den Platzhirsch im städtischen Bücherhandel. Vor einigen Monaten schloss diese Filiale, um bald darauf auf der gegenüberliegenden Straßenseite neu zu eröffnen.
Der neue Buchhandel
Dieser Buchladen ist konzeptionell deutlich anders aufgebaut. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie Hugendubel sich den stationären Buchhandel der Zukunft vorstellt. Und wer weiß, vielleicht ist Hugendubel ja diesmal wieder ein Vorreiter? Im folgenden möchte ich deshalb den Aufbau des Ladens kurz beschreiben.
Der „neue“ Hugendubel ist kleiner als sein Vorgänger und umfasst nur eine Etage. Der Laden lässt sich in drei deutlich getrennte Teile gliedern, einen vorderen, einen mittleren und einen hinteren Bereich. Im vorderen Bereich ist naturgemäß am meisten Laufkundschaft. Dort finden sich zwei Arten Bücher: Krimis und Bücher aus den aktuellen Bestsellerlisten. Dies sind die Schnelldreher, die am ehesten zu Spontankäufen anregen. Im mittleren Bereich findet man die Langsamdreher: Belletristik und Ratgeber. Hier suchen Käufer schon etwas gezielter nach dem Objekt der Begierde. Die restlichen Bücher finden sich im hinteren Bereich des Ladens. Das sind zum einen die Kinderbücher mit den dazugehörigen Spielgeräten, die aus naheliegenden Gründen nicht weiter vorne im Eingangsbereich platziert wurden. Zum anderen stehen hier die schwerer verkäuflichen Bücher. Neben Werken zu diversen Spezialthemen sind dies vor allem die Sachbücher. Am meisten erstaunt hat mich der (im Vergleich zum früheren Ladenkonzept) geringe Platz, der Sachbüchern eingeräumt wird: Exakt eine Regalbreite. Und zwar nur eine Regalbreite für alle Sachbücher zu allen Themen. Auf dem Foto erkennt man die Sachbücher, eingezwängt zwischen den obligatorischen Werken über die Weltkriege zur Linken und den obligatorischen Gesetzestexten der Rubrik „Wirtschaft/Recht“ zur Rechten.
Was bedeutet das für Autoren?
Wenn dieses Ladenkonzept typisch ist für den stationären Buchhandel der Zukunft, ergibt sich daraus eine interessante Schlussfolgerung für Autoren von Sachbüchern: Wer im stationären Buchhandel stattfinden will, muss mit seinem Buch in die Bestsellerlisten kommen. Dann wird das Buch vorne im Eingangsbereich ausgelegt. Wenn das Buch nicht in die Bestsellerlisten kommt, dann wird es auch im übrigen Ladenbereich nicht ausgelegt werden. Die eine Regalbreite ganz hinten im Laden reicht gerade einmal aus für die Restbestände, die sich vorne nicht mehr verkaufen lassen. Vielleicht nicht einmal dafür.
Für den Großteil der Sachbuchautoren, deren Bücher nicht die Top Ten erobern, bedeutet dies, dass sie sich in der Vermarktung noch mehr als bisher auf den Onlinehandel fokussieren sollten. Verlage, die in der Onlinevermarktung nicht an vorderster Front mitspielen, werden für Autoren zunehmend unattraktiv. Aktuell entstehen im Onlinebereich laufend neue, schnellere und direktere Vermarktungsmodelle. Aber der Onlinehandel ist ein separates Thema, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte.
[Tweet “Je schneller der Dreh, desto frontaler das Buch.”]
Der stationäre Buchhandel wird uns sicher noch eine Weile begleiten. Allerdings neigt sich die Ära der großen Buchpaläste mit Riesenauswahl wohl ihrem Ende entgegen. Die Buchläden der nahen Zukunft sind kleiner. Sorgsamer denn je wird ausgewählt, was sich auf den knappen Regalplätzen den Kunden entgegenreckt. Daumenregel: Je schneller der Dreh, desto frontaler das Buch.
Am Rande sei noch erwähnt, dass mich bei dem Besuch der neuen Buchhandelsfiliale eine Sache schwer ins Grübeln gebracht hat: Zwischen dem vorderen und dem mittleren Ladenbereich befindet sich unübersehbar eine Regalinsel, auf der Würste einer stadtbekannten Frankfurter Metzgerei zum Verkauf angeboten werden. Hier mein Versuch einer Interpretation: Hartnäckigen Gerüchten der Branche zufolge sind es hauptsächlich Frauen, die Bücher kaufen. Sollte eine weibliche potenzielle Käuferin eine widerstrebende männliche Begleitung im Schlepptau haben, so kann diese sich wenigstens eine Wurst kaufen. Das ist dann wohl die zeitgemäße Art von Cross-Selling.
photo credit: Stephan Meyer